Storytelling-Camp Stuttgart
Wie können sich Unternehmen mit Filmen in Szene setzen? Dieser Frage gingen mehrere Referenten des Storytelling-Camps Stuttgart nach. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Filmschau Baden-Württemberg am 2. Dezember unter Leitung von Professor Dr. Michael Müller und Prof. Jørn Precht statt. Beide leiten das Institut für angewandte Narrationsforschung, das sich mit der Anwendung von Narrationen und narrativen Methoden in Unternehmen beschäftigt. Die Lesungen richteten sich an Profis, Neu- und Quereinsteiger, indem erfahrene Storyteller aus der Praxis erzählten. Als Referenten waren Hollywood-Regisseur Roger Spottiswoode, Bestsellerautorin Petra Sammer, Siemens Film-Projektleiter Frieder Sandel und Regisseur Wolfgang Lanzenberger der ProSiebenSAT1. Media S.E. zu Gast. In ihren Vorträgen gaben sie einen Einblick, wie gute Geschichten erzählt werden, was es hierbei in der Unternehmenskommunikation zu beachten gilt und welche Veränderungen sich derzeit in der Kommunikationslandschaft vollziehen.
Hollywood-Regisseur Roger Spottiswoode eröffnet das Storytelling-Camp
Der amerikanische Filmregisseur Roger Spottiswoode – bekannt vom Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“ eröffnete die Veranstaltung mit persönlichen Anekdoten und Ratschlägen für gutes Storytelling. Was gutes Storytelling seiner Meinung nach ausmacht? Es ist wichtig, dass sich der Geschichtenerzähler darüber klar macht, was der Mittelpunkt seiner Geschichte ist. Darüber hinaus sollen wir Geschichten als Teil unseres Wertesystems begreifen.
Ein beliebtes Thema, das seiner Ansicht nach aufgegriffen werden kann, ist Vergebung – sich selbst vergeben oder den Eltern, dem Partner oder anderen Menschen, die einem nahe stehen. Das macht Vergebung zu einem Thema, das viele Menschen anspricht. Unabhängig davon welche Thematik in den Fokus gerückt wird, es ist außerdem wichtig, den Menschen in all seinen Facetten zu begreifen. Das heißt, dass wir das Gute und auch das Schlechte im Menschen sehen und verstehen sollen. Dann erzählen wir gute Geschichten.
Bestsellerautorin Petra Sammer erklärt die Grundlagen erfolgreichen Storytellings in PR und Marketing
Die Grundlagen erfolgreichen Storytellings für Unternehmen widmete sich Petra Sammer, Chief Creative Officer bei Ketchum Pleon. Sie ist Autorin des Buchs „Visual Storytelling“, das zu den erfolgreichsten Büchern zum Thema Storytelling in PR und Marketing zählt. In diesem erklärt sie, warum Storytelling ein geeignetes Werkzeug zur Wissensvermittlung darstellt. Insbesondere Unternehmen können den narrativen Managementansatz für sich nutzen, um Inhalte in Geschichten zu verpacken und dadurch Interesse bei den Zielgruppen zu wecken. Der Vorteil ist, dass Geschichten im Vergleich zu bloßen Fakten besser erinnert werden. Außerdem können Skepsis und Reaktanz mit emotionalen Geschichten leichter überwunden werden. Sie erreichen eine spielerische Konzentration bei den Zuschauern.
Paradigmenwechsel von der Text- zur Bildkommunikation
Die Vorteile des Storytellings entdecken immer mehr Unternehmen für sich, weshalb sich innerhalb der letzten Jahre ein regelrechter Hype darum entwickelt hat. Petra Sammer spricht deswegen auch von einem massiven Wandel von der Text- zur Bildkommunikation. „Nackten“ Informationen werden von Bildern, Emotionen und Storys ageblöst. Daher sind auch Plattformen wie YouTube, Snapchat und Instagram derzeit so beliebt.
Als Beispiel führt sie den viralen Erfolg der Geschichte „Justino“ der spanischen Lotterie an. Mit Emotionen und Humor schaffte es der Film die Umsatzzahlen, um ein Vielfaches zu steigern. So gaben die Kunden im Weihnachtsgeschäft über 50 Euro mehr je Lottoschein aus, der in Spanien traditionell von Mitarbeitern eines Unternehmens gemeinsam gekauft wird („Justino“ auf YouTube unter https://www.youtube.com/watch?v=BOnrzULj-BE).
Das Bauprinzip einer guten Geschichte
Das Bauprinzip einer guten Geschichte besteht nach Petra Sammers aus fünf Grundbausteinen:
Erstens muss jede Geschichte einen guten Grund haben, warum sie erzählt wird. Zum Beispiel kann ein Unternehmen seine Unternehmensvision an einer Geschichte belegen.
Zweitens braucht jede Geschichte einen Helden. Auch wenn eine Marke zum Helden werden kann, lohnt es sich der Geschichte ein Gesicht zu geben, da sich Menschen mit anderen Menschen leichter identifizieren können. Dies hat auch der Möbelhersteller Ikea erkannt und erzählt im viralen Video „Harry Love“ von einem plattenverliebten Chaoten, der mit seiner Familie in Unmengen von Schallplatten lebt. In seinem Apartment bleibt nur wenig Platz zum Wohnen, denn die Schallplatten befinden sich nicht nur im Arbeitszimmer, auch in der Küche, im Treppenhaus und sogar auf der Toilette herrscht Chaos. Dann tritt Ikea in Harrys Leben und räumt bei ihm auf. Neue Regale und Möbel schaffen im Arbeitszimmer für Ordnung. Die Familie ist glücklich über die Veränderung. Als narrative Managementmethode hat Ikea erfolgreich die Heldenreise umgesetzt und bietet der Zielgruppe die Möglichkeit sich mit dem Helden zu identifizieren. Als Hauptfigur der Geschichte tritt Harry auf – eine real existierende Person, die DJ und Musikproduzent in London ist.
Als nächsten Baustein einer guten Geschichte ist das Vorhandensein eines Konflikts zu nennen. Auch erfolgreiche Kinofilme greifen auf Probleme und Herausforderungen zurück. Jede Geschichte soll uns emotional berühren, denn Emotionen verbessern die Merkfähigkeit.
Als fünfter und letzter Baustein nennt Sammers die Viralität von Geschichten. Eine virusartige Verbreitung muss dabei nicht zwingend durch das Internet erfolgen, auch die Mund-zu-Mund-Weitererzählung ist von Bedeutung. Anhand dieser Bausteine kann Storytelling in Marketing und PR erfolgreich umgesetzt werden. Als Beispiel geht Siemens mit einer außergewöhnlichen Storytelling-Kampagne voran, die im anschließenden Vortrag von Frieder Sandel behandelt wurde.
Storytelling-Kampagne „Answers“ von Siemens
Ein Erfolgsfaktor guter Geschichten ist das Auslösen von Empathie durch einen Helden. Aus diesem Grund stellt Siemens nicht die eigene Marke, sondern die Geschichten von Menschen in den Mittelpunkt. Unter Projektmanager Frieder Sandel, Film Siemens, wurden Filme an renommierte Filmemacher in Auftrag gegeben, die echte Geschichten von echten Menschen erzählen sollen. Im Rahmen der Bewegtbild-Kampagne „Siemens.com/answers“sind innerhalb von zweieinhalb Jahren über 50 Kurzfilme entstanden.
„Helping Hand“ – eine wahre Geschichte über einen Jungen
Eine davon erzählt von Daniel – ein Junge, dessen Leben sich durch eine Handprothese verändert hat. Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zunächst vom Helden selbst. Der Zuschauer erfährt, wie der kleine Junge seine Welt versteht und mit welchen Problemen er wegen seiner körperlichen Einschränkung zu kämpfen hat. Anschließend kommen seine Schwester und seine Eltern zu Wort. Der Film unterhält durch mehrere Stilwechsel und enthält autobiografische Elemente. Bei der Geschichte nimmt sich Siemens komplett zurück. Der Firmenname wird nicht ein einziges Mal im Film erwähnt. Erst am Ende des Films steht im Abspann, dass Siemens Softwareexperte an der Lösung für Daniels Problem war (Film „Helping Hand“: http://m.usa.siemens.com/en/answers/the-helping-hand.htm).
Dokumentarfilmer sorgen für Authentizität
Diese Machart wurde gewählt, damit die Menschen im Mittelpunkt stehen. Sie sind der Held der Geschichte und haben von einer Siemens-Technologie profitiert (egal ob sie es wissen oder nicht.) Der Technologiekonzern hat bewusst Dokumentarfilmer beauftragt, damit die Kampagne nicht durch die „Siemens-Brille“ gesehen wird. Stattdessen sollen authentische Geschichten mit einem klaren Spannungsbogen im Vordergrund stehen.
Mit dem Ergebnis ist Frieder Sandel zufrieden. Circa eine halbe Millionen Views hat jeder Film jeweils erzielt. Mit den Unternehmensfilmen konnte sich Siemens als Technologiepionier positionieren, der den Menschen hilft die Welt zu verbessern.
Der andere Unternehmensfilm – wie verändert sich der Markt?
Da immer mehr Unternehmen immer bessere Unternehmensfilme machen, stellt sich die Frage, wie man sich auf dem Markt abheben kann. Wolfgang Lanzenberger, Leitung Regie der ProSiebenSAT.1 Media S.E. ging dieser Frage in seinem Vortrag „Der andere Unternehmensfilm“ auf dem Storytelling-Camp nach. Dabei gab er Einblicke in sein Buch „Unternehmensfilme drehen.“
Nach Wolfgang Lanzenberger haben sich die Inhalte verändert. Sie sind näher am Menschen dran und berühren ihn mehr. Besonders häufig werden darüber hinaus Mitarbeiterfilme eingesetzt, die in letzter Zeit einen regelrechten Boom erfahren haben. Neben den Inhalten hat sich auch die Umsetzung weiterentwickelt, denn diese wird zunehmend professioneller. Außerdem entfernt man sich vom Pathos und bemüht sich nach Ehrlichkeit. Hinsichtlich der Verbreitung hat Mobile und Social Media stark an Bedeutung gewonnen. Als Beispiel führte Wolfgang Lanzenberger mehrere Best Practice-Beispiele an:
Erfolgreiche Social Media-Events von Coca-Cola und McDonald’s
Vor und zwei Jahren rief Coca-Cola in Deutschland „Coke TV“ ins Leben. Das Unternehmen reagiert damit auf den Hype um YouTube-Stars und kreiert erfolgreich eigenen Content für die junge Zielgruppe. Auch ein Austausch mit den Fans findet rund um #CokeTVMoments statt.
Auch McDonald’s bietet seiner Zielgruppe ein Social Media-Event. Am 15. Oktober 2016 fand eine 12-stündige Live-Show mit prominenten Persönlichkeiten als Moderatoren statt. Knapp 750 Fast Food Restaurants von McDonald’s haben gleichzeitig ihre Türen geöffnet und hinter die Kulissen blicken lassen. Das Event „Live@McDonald’s“ war ein Erfolg: Über sechs Millionen Zuschauen waren über Facebook, YouTube und Twitter bei BIG MAC TV dabei.
Viraler YouTube-Hit der BVG
Die Berliner Verkehrsbetriebe – kurz BVG – haben vergangenes Jahr ebenfalls einen viralen Hit geliefert, der die Zielgruppe angesprochen hat. Mit dem selbstironischen Musikvideo „Is mir egal“ mit YouTube-Star Kazim Akboga hat das Unternehmen auf einen Shitstorm reagiert, den sich die BVG mit der Imagekampagne #WeilWirDichLieben eingehandelt haben. Anstelle von Alltagsproblemen rappt der als Fahrkartenkontrolleur verkleidete Akboga für die BVG von den Dingen, die er während seiner Arbeit zu sehen bekommt: laute Musik, Menschen, die Züge für ihren Umzug nutzen, ein als Hai verkleideter Hund und vieles mehr. Die Aussage ist dabei, dass ihm alles egal ist, außer Fahrgäste, die kein gültiges Ticket oder Geld dabei haben. Über 13 Millionen Klicks hat das Video nach nur einem Jahr gesammelt und ist damit ein voller Erfolg.
Rückblick auf das Storytelling-Camp Unternehmenskommunikation 2016
Die Veranstaltung war ein voller Erfolg. Mehrere hundert Teilnehmer fanden sich in den Sälen Metropol 2 und 3 des Innenstadtkinos Stuttgart ein. Neben Vorträgen zu Storytelling in der Unternehmenskommunikation fanden parallel auch Lesungen zum Drehbuchcamp Fiction für Film und TV statt. Dadurch konnten die Teilnehmer nach Wunsch Einblicke in beide Bereiche erlangen. Grundlagen für erfolgreiches Storytelling wurde von den Referenten anhand anschaulicher Best-Practice-Beispiele vermittelt und ein interessanter Austausch konnte während den Pausen und dem anschließenden Get Together stattfinden.
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Nadine Hammele Masterstudentin
Nadine Hammele ist Masterstudentin an der Hochschule der Medien Stuttgart und beschäftigt sich theoretisch wie praktisch als Beraterin mit Storytelling in der Unternehmenskommunikation.