Corporate Storytelling schafft Aufmerksamkeit und Identifikation
In einigen Unternehmen schlummern Texte, Tonaufnahmen, Filme aus vergangenen Jahrzehnten – verstaubtes Material, das nicht mehr zeitgemäß sei, würden manche behaupten. Doch gerade diese in die Jahre gekommenen Medien sollten nicht unterschätzt werden. Sie spiegeln nicht nur das Unternehmen in einer vergangenen Zeit wider, sondern sind ein bedeutender Teil der Unternehmensgeschichte und damit Teil der Unternehmensidentität. Ein Sprichwort sagt: Der Mensch ist die Summe seiner Erfahrungen. Das gilt auch für Unternehmen. Indem vergangene Erfahrungen zugänglich gemacht werden, kann die Identität eines Unternehmens in seiner Unverwechselbarkeit auf authentische Weise vermittelt werden. Doch wie gelingt es, historische Medien aufzubereiten, dass diese in der heutigen Zeit eingesetzt werden können?
Ein Forschungsprojekt der Hochschule der Medien mit Mercedes-Benz
Dieser Frage ging eine Gruppe von Masterstudenten der Hochschule der Medien in einem Forschungsprojekt unter der Leitung von Professor Michael Müller nach. In Kooperation mit Uwe Heintzer, Manager Mercedes-Benz Classic Archive, wurde den neun Masterstudenten Archivmaterial von Mercedes-Benz zur Verfügung gestellt. Das Filmmaterial besteht aus Interviews, die mit Mitarbeitern und Rennfahren des Unternehmens Mercedes-Benz in den 80er- und 90er-Jahren geführt wurden. Die Länge je Film reicht von 20 Minuten bis hin zu einer Stunde. Erzählt wird unter anderem über den Einstieg ins Unternehmen, Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag und Hindernissen, die es zu überwinden galt. Gerade letzteres ist von Interesse, denn insbesondere in herausfordernden Situationen und bei der Suche nach Problemlösungen zeigt ein Unternehmen seinen Charakter, sein Durchsetzungsvermögen und seinen Fortschrittsgeist. Hindernisse machen eine Erzählung spannend. Sie machen deutlich, wie ein Ziel verfolgt wird und das weckt wiederrum das Interesse der Zielgruppe.
Archivmaterial als Grundlage für Corporate Storytelling
Die Interviews sollten nicht nur gekürzt und mit ansprechendem Bildmaterial unterlegt werden. Vor allem sollten sie Geschichten über die Marke und die Menschen hinter Mercedes-Benz erzählen und welche Errungenschaften wir ihnen zu verdanken haben. Mit Hilfe von narrativem Management, also dem gezielten Einsatz von Storytelling im Unternehmen, kann das Wissen über eine Marke, ihre Geschichte und ihre Kultur anschaulich vermittelt werden. In diversen wissenschaftlichen Studien wurde bereits nachgewiesen, dass Storytelling – im Vergleich zu Medien ohne Storytelling – die Aufmerksamkeit und das emotionale Miterleben steigern. Aus diesem Grund stellt Corporate Storytelling eine geeignete Methode dar, um Archivmaterial anschaulich umzusetzen. Daher wurde der narrative Managementansatz für das Forschungsprojekt der Hochschule der Medien mit Mercedes-Benz als Grundlage gewählt. Doch wann genau spricht man eigentlich von Storytelling? Welche Voraussetzungen müssen für eine Geschichte vorliegen?
Was genau ist eine Geschichte?
Geschichten erzählen wir ständig. Wir berichten von vergangenen Erlebnissen, Anekdoten von Freunden oder Inhalten aus Filmen und Büchern. Doch so intuitiv wir diese verwenden, muss eine bewusste Abgrenzung erlernt werden. Die Grundlagen einer Geschichte sind jedoch simpel: Es gibt eine Anfangssituation, ein Ereignis und eine Endsituation. Das Ereignis muss eine Besonderheit in der dargestellten Welt darstellen. Sie ist die Ursache für eine Veränderung, die zwischen Anfang und Ende stattfindet. Am Beispiel Mercedes-Benz lässt sich folgende Geschichte erzählen:
Die Erprobung von neuen Sicherheitstechnologien erweist sich als sehr gefährlich (Anfang). Daraufhin entwickelt Mercedes-Benz den ersten Fahrsimulator der Welt (Ereignis). Von da an ist die Erprobung neuer Sicherheitstechnologien sicher (Ende).
Anhand dieses simplen Vorher-Nachher-Modells kann festgestellt werden, ob eine Geschichte vorliegt oder nicht.
Geschichten haben einen zeitlichen Ablauf und leben von der Veränderung
An diesem Beispiel wird außerdem deutlich, dass Geschichten immer einen zeitlichen Ablauf haben müssen. Das heißt, dass es zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Zustände gibt. Ob sich die dargestellte Welt oder die Hauptfigur der Geschichte verändert ist nicht von Bedeutung. Wichtig ist nur, dass es eine Veränderung gibt. Möchte ein Unternehmen Narrativität, also Geschichten, gezielt einsetzen, ist es sinnvoll sich diese Bestandteile einer Geschichte klar zu machen. Darüber hinaus sollte man sich überlegen, welche Botschaft durch die Story vermittelt werden soll. Im Falle der Geschichte über den Fahrsimulator wird die Marke Mercedes-Benz als Pionier der Sicherheitsforschung dargestellt.
Die Drei-Akt-Struktur und die Heldenreise als Geschichtenform
Unternehmen können Geschichten in verschiedenen Formen erzählen. Das einfachste Modell ist die bereits vorgestellte Vorher-Nachher-Dramaturgie. Diese lässt sich weiter ausgliedern in die sogenannte Drei-Akt-Struktur. Eine Geschichte teilt sich demnach in drei Akte: Exposition, Konfrontation und Auflösung. Die beiden ersten Akte enden jeweils mit einem Wendepunkt, der die Geschehnisse in eine neue Richtung lenkt.
Eine noch feingliedrigere Geschichtenform stellt die Heldenreise dar. In dieser wird der Held aus seinem gewohnten Alltag gerissen und zu einem Abenteuer gerufen. Zunächst verweigert er dieses, bricht dann aber dennoch auf. Auf seiner Heldenreise muss er sich verschiedenen Bewährungsproben stellen, die in einer entscheidenden Prüfung gipfeln. Nachdem er diese besteht kehrt er mit der Belohnung in die gewohnte Welt zurück. Von besonderer Bedeutung ist die charakterliche Entwicklung des Helden. Dieses Erzählmodell ist äußerst wirkungsvoll, da es tief in der Entwicklungsgeschichte der Menschen verwurzelt ist. Bereits Jahrhunderte alte Märchen, Mythen und Sagen basierten auf diesem. Auch Hollywood nutzt dieses Modell, beispielsweise in Blockbuster-Filmen wie „Star Wars“ oder „Harry Potter.“ Da die Erzählform der Heldenreise so stark verbreitet und vom Menschen verinnerlicht ist, eignet sich diese ebenfalls für Unternehmen. Der Held muss dabei nicht immer eine Person sein. Auch Marken können zum Helden werden.
Das Erzählmodell der Serie
Die Geschichtenform der Serie greift die gleichen Hauptfiguren bzw. ein gleiches Thema immer wieder auf. Die Handlung einer Folge kann abgeschlossen sein oder in weiteren Folgen fortgeführt werden. Diese Form des Erzählens ist bereits seit der Anfangsphase des Fernsehens sehr beliebt, als Folgen wie „Flipper“ ausgestrahlt wurden. Deren Beliebtheit nimmt auch heute immer weiter zu, vor allem da ein Konsum über Streaming zum Trend geworden ist. Diese Entwicklung können Unternehmen für sich nutzen und eine eigene Serie produzieren, die Aspekte ihres Unternehmens beleuchtet oder das Unternehmen zum Thema einer Handlung macht. In Social Media Kanälen, auf unternehmenseigenen Webseiten oder im Intranet kann eine Serie in regelmäßigen Abständen ausgestrahlt werden. Dadurch lässt sich Reichweite steigern und Kundenbindung aufbauen.
Mit Humor und Musik in Social Media punkten
Wer einen viralen Hit landen möchte, kann eine Kombination aus Humor und Musik für sich nutzen. Filmmaterial wird auf Grundlage einer sichtbaren Montage zu einem Musikstück zusammengesetzt. Ein besonders bekannter Interview-Rap ist die Montage von Filmausschnitten des NBC-Nachrichtensprechers Brian Williams. Anhand seiner im Fernsehen gesagten Phrasen wurde der gesamte Liedtext zum Song „Rapper’s Delight“ zusammengeschnitten und mit Musik unterlegt. Über eine Millionen Views und 16.000 Likes hat das im Jahr 2014 veröffentlichte Video mittlerweile auf YouTube. Interviewmaterial aus dem Archiv kann so zu einem unterhaltsamen viralen Spot werden.
Ergebnis des Forschungsprojekts
Für Mercedes-Benz Classic haben die Masterstudenten der Hochschule der Medien insgesamt neun Filme mit Storytelling entwickelt. Historische Filme mit einer Länge von 20 bis 90 Minuten wurden auf ein bis fünf Minuten gekürzt. Ein Sprecher fügt in den meisten Videos aussagekräftige Statements der interviewten Personen zusammen und schafft einen roten Faden. Einige Videos kommen auch ohne Sprecher lediglich mit den Interviewpassagen einer Person aus. Ansprechendes Videomaterial unterstützt die im Interview gemachten Aussagen und die Geschichte auf Bildebene. Wie diese Filme in der Kommunikation von Mercedes-Benz eingesetzt werden, ist derzeit noch offen. Denkbar ist eine Einbindung im Intranet für Mitarbeiter, aber auch in der Kommunikation nach Außen könnten die Filme in Zukunft verwendet werden.
Wie Archivmaterial konkret umgesetzt wird, d.h. welche Inhalte, Bilder und Musik am Ende verwendet werden, sollte auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmt werden. Ein Film, der in der internen Kommunikation eingesetzt wird, hat beispielsweise eine andere Tonalität, als ein YouTube-Film, der von einer jungen Zielgruppe verbreitet werden soll. Unternehmen sollten daher im Auge behalten für welche Zielgruppe in welchem Medium mit welcher Zielsetzung die Geschichte erzählt werden soll. Dann können Inhalt, Stil und Machart entsprechend gewählt werden.
In Hinblick auf eine erfolgreiche Unternehmenskommunikation lässt sich festhalten, dass ein narrativer Managementansatzes viele Vorteile verbindet: Aufmerksamkeitsgenerierung, stärkere Einbindung und Identifikation der Zielgruppe sowie Aufbau von Markenbindung. Auf der Grundlage einer Geschichte wird Unternehmensidentität auf authentische, spannende und emotionale Weise kommuniziert. In Anbetracht dieser Vorteile lohnt es sich einen Blick auf Archivmaterial im Unternehmen zu werfen. In ihnen schlummert häufig das Potential bewegende Geschichten zu erzählen.
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Nadine Hammele Masterstudentin
Nadine Hammele ist Masterstudentin an der Hochschule der Medien Stuttgart und beschäftigt sich theoretisch wie praktisch als Beraterin mit Storytelling in der Unternehmenskommunikation.